Montag, 2. April 2012

Chucks - Cornelia Travnicek


"Draußen dreht sich die Erde weiter, bis die Dächer Wiens sich vor die Sonne schieben. Das letzte Licht wirft seinen Schein wie ein einzelnes Spotlight auf mich. Das bin ich, sind wir, im Endeffekt: nicht gerne allein." (187)

Diese Erkenntnis steht am Schluss eines Buchs, das vor allem vom Verlust, von Einsamkeit und Rebellion handelt. Und ist so wahr, dass sie beinah weh tut.
Mae, Anfang 20, Trennungskind, hin- und hergeschoben zwischen Vater und Mutter, seit ihr Bruder verstorben ist, lebte vor Kurzem noch auf den Straßen Wiens von Dosenbier, Joghurt und den Gesprächen mit ihrer Punk-Freundin Tamara über Quantenphysik und String-Theorien. Ganz an den Rand der Gesellschaft hatte sie sich zurückgezogen. 
Doch das ist Vergangenheit. Sie wohnt nun bei ihrem Freund Jakob in einer nicht ganz ausgewogenen Beziehung, leistet Sozialstunden im Aids-Hilfe-Haus ab - und lernt dort Paul kennen. Paul, den Infizierten, den Ruhigen, denjenigen, der sie wieder in Kontakt zu sich selbst und ihrem Leben bringt.

In drei Erzählsträngen berichtet uns Mae von ihrem Leben und lässt uns mit ihr die Ereignisse und vor allem ganz starke Emotionen erleben.
Cornelia Travnicek gelingt es, mit ganz wenigen Worten ausgesprochen kraftvolle Bilder und intensive Gefühle heraufzubeschwören. Subtil und knapp, ein wenig sprunghaft, rotzig und sehr sehr plastisch schildert sie die Gegebenheiten und Figuren, ohne sehr ins Detail zu gehen. Trotzdem - oder gerade deshalb - stehen mir sämtliche Figuren sehr bildhaft vor dem inneren Auge.
Mich hat das Buch sehr berührt, auf einer ganz besonderen Ebene. Die Emotionen werden weniger beschrieben als vielmehr im Leser selbst evoziert - durch Leerstellen, Assoziationen und intensive Bilder.
Diese Tiefe und Intensität von "Chucks" werde ich lange nicht vergessen - genauso wenig wie die kraftvolle Metaphorik und die außergewöhnlichen Figuren.

Ein überraschendes Buch. Ein überraschend gutes und starkes Buch, das einen Ehrenplatz in meinem Regal erhalten wird.

Von mir eine uneingeschränkte Leseempfehlung und als Antwort auf das vorangestellte Tomte-Zitat ebenfalls eine Tomte-Zeile: 

"Die Schönheit der Chance, 
dass wir unser Leben lieben, 
so spät es auch ist. 
Das ist nicht die Sonne, die untergeht, 
sondern die Erde, die sich dreht."


1 Kommentar:

  1. Ich habe das Buch schon öfter im Vorbeigehen gesehen und war immer abgeschreckt vom furchtbar dämlichen Titel, impliziert er doch das Lebensgefühl der Millionen von Trotteln, die ihre Festivalbändchen für immer tragen wollen. Deine Rezension hat es mir trotzdem irgendwie näher gebracht! Schön geschrieben.

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